Es ist momentan eines der großen Diskussionsthemen im deutschen Fußball. Nein, es geht nicht um das Fehlen von einem „echten Neuner“ und nein, auch nicht um Manuel Neuers Skiurlaube oder das kollektive Versagen der Deutschen Nationalmannschaften. Wobei, vielleicht gibt es gerade zu letzterem ja doch Verbindungen. „Kinderfußball“ und „Funiño“ sind die Stichworte, die alte Fußballliebhaber gerade zur Weißglut bringen. Aber was ist das eigentlich, dieses „Funiño“? Und wie kann es Fußball-Deutschland insgesamt weiterbringen?

Der Deutsche Fußball Bund (DFB), der vor rund zwei Jahren eine Reform im Kinder- und Jugendfußball angestoßen hat, bringt auf seiner Homepage Licht ins Dunkle: Es handelt sich um ein Spielkonzept, das ab der Saison 2024/25 von der G- bis zur E-Jugend angewendet werden muss. Dabei spielen die Kinder nicht mehr auf große Felder und große Tore, sondern auf bedeutend kleineren Feldern mit zwei Minitoren pro Team. Tore werden zwar gezählt, Tabellen gibt es aber nicht. Dafür existieren im neuen Modell sogenannte Torschusszonen sechs Meter vor den Toren und nur wenn der/die ballführende Spieler*in in diesem Bereich ist, darf ein Tor erzielt werden. Klingt verrückt, ist aber so. Zudem gibt es keine Meisterschaften mehr, sondern „Festivals“, zu denen mehrere Teams kommen. Im 2-vs.-2 oder 3-vs-3, ohne Torwart, wird parallel auf mehreren Feldern gespielt. Nach der Spielzeit von acht Minuten steigt das Gewinnerteam ein Feld auf und die Verlierer ein Feld ab. So spielen nach und nach die Teams gegeneinander, die auf einem ähnlichen Level agieren.

Puh…das war viel auf einmal. Manch ein alteingesessener Fußballverfechter ist vor Wut vielleicht schon mit hochrotem Kopf vom Stuhl gefallen. Dabei ist die Reform im Kinderfußball genau das, was Fußball-Deutschland braucht.

Der DFB drückt die Vorteile so aus:

Die neuen Spielformen sollen allen Kindern auf dem Platz so häufig wie möglich die Chance geben, den Ball selbst am Fuß zu haben, aktiv am Spiel teilzunehmen, Tore zu erzielen und damit persönliche Erfolgserlebnisse zu haben. Deshalb wird auf kleinere Teams, viel Abwechslung und zum Teil vier Tore gesetzt werden. Die individuelle sportliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen wird damit gefördert, ihre Begeisterung für den Fußball verstärkt.

Der DFB in einem FAQ (unten verlinkt) zu Funiño

Zudem werde der Wettbewerbsdruck drastisch minimiert.
Durch Funiño hat jedes Kind auf dem Feld ein Vielfaches mehr an Ballaktionen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Es muss gedribbelt werden wie ein Weltmeister beziehungsweise wie Leroy Sané vor dem 2:0 gegen Frankreich im letzten Länderspiel der deutschen Mannschaft. Und dem 1:0 in diesem Spiel ging ein Hackentrick von Emre Can, ein Konter mit schönem Kurzpassspiel und ein weiterer Trick von Sané voraus. Das war man vom harmlosen Flick-Fußball gar nicht mehr gewohnt. Ihn beerbt haben ja dann interimsweise Rudi Völler, Sandro Wagner und Hannes Wolf. So wie der Fußball gegen die starken Franzosen teilweise aussah, hatte in der Vorbereitung aber vor allem Hannes Wolf das Wort. Der eigentliche U20-Nationaltrainer wurde vom DFB zusätzlich zum Sportdirektor für Nachwuchs, Training und Entwicklung ernannt und ist großer Befürworter der Reform im Kinderfußball – und das war dem Spielstil der Nationalelf am vergangenen Dienstag anzumerken.

Was dann überraschend kommt und vor allem kontraproduktiv ist, sind Aussagen wie die von Hans-Joachim Watzke, seines Zeichens Teil des DFB-Präsidiums und der sogenannten „Task Force“ des DFB, die im Zuge des Versagens der Nationalmannschaft bei der WM in Katar ins Leben gerufen wurde. Hier waren bis vor Kurzem acht ältere, wichtige Männer des deutschen Fußballs aktiv, kein frisches Blut, keine Frau – aber das ist ein anderes Thema.

Man sollte ja denken, dass sich verbandsintern abgesprochen wird. Wenn dann aber in der Presse Kritik von Watzke auftaucht, wie beispielsweise „Demnächst spielen wir dann noch ohne Ball. Oder wir machen den eckig, damit er den etwas langsameren Jugendlichen nicht mehr wegläuft.“ Oder auch: „Wenn du als Sechs-, Acht- oder Neunjähriger nie das Gefühl hast, was es ist, zu verlieren, dann wirst du auch nie die große Kraft finden, um auch mal zu gewinnen“, dann kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Watzke bezeichnete die Reform als „unfassbar“ und „nicht nachvollziehbar“ – er will gegen diese vorgehen.

Lena Cassel, Sportjournalistin mit Schwerpunkt Fußball, hebelte die Kritik des gleichzeitigen BVB-Geschäftsführers in ihrem Podcast „Fußball MML Daily“ mit einem Satz aus: „Ich frage mich ja, wann Watzke zuletzt ein Spiel in der F-Jugend gesehen hat.“ Und dem kann ich mich nur anschließen. Wenn man sich ein Spiel der F-Jugend auf die Jugendtore ansieht und darin ein kleiner Torwart steht, der bei weitem nicht in die Ecken kommt, hinterfragt man automatisch alles. Schwächere Spieler*innen haben in diesem Format auf große Tore und größere Felder so gut wie keinen Ballkontakt. Wie soll da eine gute Entwicklung stattfinden? Meistens hören diese Kinder dann nach einem halben Jahr wieder auf mit dem schönsten Hobby der Welt. Verübeln kann ich ihnen das nicht. Dann darf sich über die drastisch sinkende Zahl an Aktiven in allen Altersbereichen aber auch nicht gewundert werden.

Im NDR hat Sportpsychologin Frauke Wilhelm das Ganze noch einmal aus der Sicht der Entwicklungspsychologie beleuchtet. Zu den Aussagen von Watzke sagt sie:

Dieser Aussage liegt eine erwachsene Denkweise zugrunde, aber diese Perspektive lässt sich so einfach nicht auf Kinder übertragen. Außerdem ist es sehr reduziert gedacht: Es unterstellt, dass Menschen nur ihr Bestes geben wollen, um zu gewinnen. Das ist einfach nicht so.

Kinder würden erst viel später Ehrgeiz entwickeln und der Spaß stünde bis ins Jugenalter im Vordergrund. Durch den frühen Wettbewerbsdruck verliere man schnell viele Kinder.

Das führt dazu, dass die besten Kinder gefördert werden, die schlechteren nicht spielen. Das ist eine Situation, die wir uns gar nicht leisten können, denn durch den ausschließlichen Fokus auf die talentiertesten Fußballer verlieren wir viele Kinder.

so Wilhelm im NDR.

In Hildesheim sind derweil in der neuen Saison im Bereich der G- und F-Jugend die ersten Kinderfußball-Events gestartet. Die SG Beustertal richtete zum Beispiel am voletzten Sonntag einen solchen für die G-Jugend aus und zog auf seiner Vereinshomepage ein zufriedenes Fazit. Auch der JFC Kaspel 09, Ausrichter im Bereich der F-Jugend am vorletzten Samstag, war durchweg positiv gestimmt. Die Kinder hätten Spaß gehabt, alles sei sehr harmonisch verlaufen und am Ende seien alle mit einem großen Lächeln nach Hause gegangen. Bei der NFV-Sparkassen-Fußballschule in Diekholzen – auch hier wurde bei der Auswahl der Übungen der klare Fokus auf die neuen Maßgaben des DFB gelegt – äußerte sich Kreisauswahltrainer und Organisator Matthias Münzberger zudem deutlich:

Kindefußball und FUNiño sind für mich die Zukunft des Fußballs bei den jüngsten Fußballern und Fußbalerinnen. Denn das Spielkonzept ist für die Kinder einfach auch sehr sinnvoll. Man sollte den Fußball auf die größeren Felder und Tore dabei zwar nicht aus dem Auge verlieren, aber im Vordergrund steht jetzt eben das Spiel auf kleine Felder und Tore – und das ist gut so!

Den 36 Kindern war die große Freude mit dem Ball anzumerken, die vielen Vorteile von Funiño und den generell neuen Ansätzen im Kinderfußball wurden schnell deutlich.

Zwei interessante Aussagen dann noch zum Ende dieses Plädoyers pro Kinderußball-Reform. Zum einen Hannes Wolf, der seinen quasi Vorgesetzten Watzke mutig konterte, fast so schön wie der Konter vor dem besagten 2:0 gegen Frankreich:

In den neuen Spielformen im Kinder- und Jugendfußball wird Leistung gefordert und durch die unmittelbare Rückmeldung des Gewinnens und Verlierens gefördert.

Zudem würden Tore und Siege gar nicht abgeschafft, sondern sogar viel schneller durch die Auf- und Abstiege innerhalb eines Turniers umgesetzt werden. Das gefährliche Halbwissen von Watzke wurde, wen wundert es, schnell durch eine Pressemitteilung des DFB verbessert.
Und zum anderen ist da noch Jamal Musiala, Wunderkind des FC Bayern München und Hoffnungsträger der Deutschen Nationalmannschaft. Er sagte zur Reform:

In Deutschland gibt es schon für unter Zehnjährige ein Ligensystem, wohingegen das in England bis zur U18 nicht üblich ist. Da hat man viel weniger Druck und mehr Zeit, sich zu entwickeln, man kann viel freier spielen.

Und wenn Deutschland eines braucht, dann sind es Tempodribbler wie Musiala und Freigeiste wie Thomas Müller, dessen Spielintelligenz unübersehbar ist. Diese wird durch Funiño übrigens bestens gefördert. Es braucht nur den Mut der Verbände, Vereine und Verantwortlichen, das jetzt auch endlich umzusetzen!

Wer sich weiter informieren und belesen möchte, kann das unter anderem hier tun:

FAQ des DFB: https://www.dfb.de/neue-spielformen-im-kinderfussball/faq-spielformen/

Reportage des NDR: https://www.ndr.de/sport/fussball/Watzke-poltert-gegen-Reform-im-Jugendfussball-Psychologin-widerspricht,nachwuchsfussball100.html

Bund Deutscher Fußball-Lehrer: https://www.bdfl.de/images/ITK/2018/Lochmann_2018.pdf