Trotz des ganzen Trubels rund um den EVI-CUP 2019 haben wir eine ruhige Sekunde abgepasst und uns mit Murat Salar, dem neuen Cheftrainer von Bezirksligist SV Newroz Hildesheim, zusammengesetzt. 

Unter anderem hielt er uns der 43-Jährige Rede und Antwort hinsichtlich der Beweggründe seines plötzlichen Wechsels, sprach über die langfristige Vision des SVN, seine Wahrnehmung der Polarität des kurdischen Vereins und die Rückrunden-Ambitionen des in der Bezirksliga aktuell Drittplatzierten Klubs. 
SNHI: Hey Murat, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, um mit uns zu sprechen. Was hat dich dazu bewogen den Job als Cheftrainer beim SV Newroz zu übernehmen?

MS: „Hey, immer gerne doch. Ich befinde mich aktuell in einer persönlich nicht ganz einfachen Situation – es geht um Familie und damit verbunden auch um Verpflichtungen, die aktuell sehr viel Unterstützung von mir abverlangen. Wenn du dann vier Mal in der Woche Training in Braunschweig hast, plus das Spiel, dann bist du wahnsinnig viel unterwegs. Hin und zurück nach BS sind es 120 Kilometer und wenn wir dann um 18:30 Uhr Training hatten, dann musste ich in Hildesheim schon um 16:00 Uhr los und war dann häufig erst um 22:00 Uhr zu Hause. Wenn man es richtig macht, dann ist das alles sehr, sehr zeitintensiv – momentan kann ich mir das nicht erlauben. Deshalb habe ich die Entscheidung getroffen, erst einmal etwas kürzer zu treten.

Ich möchte mich ganz herzlich für das Verständnis meines alten Vereins Vahdet Braunschweig bedanken! Ich entschuldige mich auch bei der Mannschaft dafür, dass sich das jetzt so entwickelt hat. Wir hatten eine enge Bindung und eine sehr gute Zusammenarbeit. Ich wünsche dem Team von ganzem Herzen, dass sie ihr Ziel, nämlich den Aufstiegt bzw. weiterhin oben mitzuspielen, verwirklichen können und sportlichen Erfolg haben.“

SNHI: Schon seit langem bist du tief mit dem SVN verbunden. Stellt der Fakt, dass du ab jetzt die Verantwortung als Cheftrainer inne hast, nicht auch ein Risiko für die enge und freundschaftliche Beziehung zwischen dir und der Vereinsführung dar? 

MS: „Freundschaftlich wird das, denke ich, nichts ankratzen. Mit Serhat Kaplan habe ich beispielsweise im gleichen Viertel in der Nordstadt gewohnt. Wir kennen uns ewig, haben damals schon zusammen auf dem Spielplatz Fußball gespielt und wenn es dann mal so ist, dass nicht die gleichen Ansichten bestehen, dann reden wir darüber und eigentlich kommen wir am Ende dann immer zu einem Punkt, wo wir, mehr oder weniger, auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Wichtig ist, dass es eine klare Aufgabenverteilung gibt, denn dann ist es automatisch so, dass sich niemand großartig in die Bereiche der anderen einmischt.“

SNHI: Was ist deine langfristige Vision für den SV Newroz? Könnte es eine ähnliche Erfolgsstory, wie bei Türkgücü München (momentan Spitzenreiter der Regionalliga Bayern) geben?

MS: „Ja (lacht), das ist natürliche eine Wunschvorstellung, die jeder Verein mit Migrationshintergrund hat. Daran denken wir aber gar nicht, das (Türkücü München) ist ein ganz anderes Kaliber. Wir wollen hier in der Region guten Fußball spielen, wollen die Möglichkeit geben, dass sich so viele Kulturen wie möglich miteinander verbinden und vordergründig soll das alles Spaß machen und die Leidenschaft des Fußballs im Mittelpunkt stehen. Wo das dann hinführt, kann man jetzt nicht sagen. Unter dem Strich geht es um Menschlichkeit und Freundschaft. Wenn ich jetzt in die Mannschaft gucke, dann habe ich mit Agron Luma (lacht) beispielsweise jemanden, der sogar schon auf meine Kinder aufgepasst hat. Der Fußball soll Spaß machen – uns, aber auch den Fans. Der Amateurfußball soll wieder belebt werden. Ich denke da zum Beispiel an die Spiele gegen Türk Gücü Hildesheim, zu dessen Gründern übrigens mein Vater gehört, wo über 1.000 Zuschauer kamen – das macht Spaß und es wäre toll, wenn es noch mehr solcher Spiele gäbe, wo viele Menschen den Weg ins Stadion auch zu unterklassigen Spielen finden.“

SNHI: Der SV Newroz ist ein polarisierender Verein. Die einen finden euch super und unterstützen das Projekt, von anderen bekommt ihr Gegenwind und teilweise sogar Antipathie zu spüren. Wie gehst du damit um und was sind für dich Werte, die im Fußball ganz oben stehen müssen?

MS: „Natürlich sind wir polarisierend. Wir haben ein paar Jungs, die auch schon höher gespielt haben und dann wirst du automatisch in eine gewisse Schublade gesteckt. Ich kenne den SV Newroz von Beginn an und war ja damals in der Kreisklasse schon einmal Spielertrainer, daher kann ich das alles nachvollziehen und weiß, dass es auch Menschen gibt, die anders ticken. Von großer Antipathie spüre ich eher wenig, ich sehe eher den Zuspruch. Klar haben wir ein paar Charaktere, die durch ihre teils etwas aggressive Spielweise polarisieren – ein Agron Luma zum Beispiel, oder auch ich selber damals als Spieler (lacht). Wenn dann noch 100 – 150 Zuschauer zu unseren Spielen kommen, gerade damals noch auf dem Gelände des ESV, wo es sehr eng und laut war, dann kommt es halt dazu, dass die einen uns sympathisch finden und die anderen eher weniger. Zu den Werten: Mit ganz oben steht bei uns auf jeden Fall die Ehrlichkeit. Die Zuschauer sollen merken, dass die Jungs Vollgas und ihr Bestes geben. Weiter wollen wir für jeden offen sein. Schaut man sich unsere Mannschaft an, dann haben wir Araber, Kurden, Türken, Deutsche, Libanesen, Albaner, Afrikaner und viele weitere Nationen in unserem Teamgefüge – der interkulturelle Faktor ist sehr wichtig für uns.“

SNHI: Wird man dich hin und wieder auch noch auf dem Platz sehen oder lässt du deine Fußballschuhe zukünftig im Schrank?


MS: „Grundsätzlich möchte ich eigentlich nicht mehr als Spieler auflaufen, aber wenn Not am Mann ist, dann werde ich auch noch das ein oder andere Mal die Schuhe noch schnüren.“

SNHI: Nach der Hinrunde hat der SVN momentan 10 Punkte Rückstand auf den Tabellenführer aus Sarstedt und acht auf den Zweitplatzierten aus Harsum. Ist die Sache schon gelaufen, oder wollt ihr nochmal angreifen?

MS: „Für uns ist es in erster Linie wichtig, dass wir leidenschaftlichen, attraktiven und guten Fußball spielen, dass wir viele Tore schießen und so das Gerüst für die nächste Saison aufbauen. Wir wollen ein offensives Spiel zeigen, was sich im besten Fall hauptsächlich in der gegnerischen Hälfte abspielt – das ist unsere Philosophie, die wir eintrichtern wollen. Grundsätzlich ist es natürlich so, dass wir jedes Spiel gewinnen wollen. Trotzdem werde ich jetzt nicht jede Woche auf die Tabellenkonstellation schauen. Was sich dann ergibt, das wird man sehen. Mit Punkten beschäftigen wir uns jetzt gar nicht, sondern schauen von Spiel zu Spiel.“

SNHI: Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast.