Anscheinend können der niedersächsische Landespokal und der VfV Borussia 06 Hildesheim doch miteinander. Der Regionalligist schmeißt am gestrigen Abend den Drittligisten Eintracht Braunschweig durch einen Sieg nach Elfmeterschießen aus dem Wettbewerb. Die Nachlese zu einem denkwürdigen Abend.

VfV-Führung, später Ausgleich und dann die Entscheidung im Elfmeterschießen. All das hatte es Ende Mai bereits einmal gegeben im Hildesheimer Friedrich-Ebert-Stadion. Damals standen sich der VfV Borussia 06 Hildesheim und der SV Drochtersen-Assel im Halbfinale des Landespokals gegenüber. Gestern war Drittligist Eintracht Braunschweig im Viertelfinale zu Gast, die Szenerie fast gleich – doch dieses Mal hatten die Hildesheimer das bessere Ende für sich. „Ich bin mega stolz auf den Pokalfight. Das Elfmeterschießen zu gewinnen, gerade nach der Niederlage gegen Drochtersen im Mai, das ist überragend“, freute sich der Hildesheimer Trainer Markus Unger.
Thomas Sonntag war es vorbehalten, den entscheidenden Elfmeter zum 5:4-Sieg zu verwandeln. Der Stürmer gestand: „Der Puls war schon hoch. Meinen letzten Elfmeter habe ich in der B-Jugend geschossen und leider verschossen.“
Dass es überhaupt dazu kam, dass die Entscheidung vom ominösen Punkt fallen musste, verdienten sich die Borussen mit einem leidenschaftlichen Auftritt. „Wenn man mit dieser Einstellung in jedes Spiel geht, dann ist es auch schwer gegen diese Truppe zu bestehen“, lobte Unger im Anschluss seine Mannschaft.

Verpassen etliche Zuschauer das 1:0?

Vor 1.820 Zuschauern entwickelte sich schnell ein munteres Spiel. Einige der 1.820 dürften sogar das erste Tor verpasst haben, weil die Schlangen am Eingang so lang waren. Erst gegen 17.20 Uhr wirkte das Friedrich-Ebert-Stadion so richtig voll.
Da hatten die Hildesheimer bereits einmal gejubelt. Nach einer Balleroberung bediente Yannik Schulze Mohammad Baghdadi. Der Linksfuß zog Richtung Strafraum, profitierte dann vom Ausrutschen eines Braunschweiger Verteidigers und traf eiskalt in die rechte untere Ecke zum 1:0.

Unger bringt drei Neue

Personell hatte Unger wenig Möglichkeiten etwas zu verändern. Im Vergleich zur 0:3-Niederlage in Rehden brachte der VfV-Coach drei Neue. Für Marco Drawz, Fatih Ufuk (beide Bank) und Emre Aytun (verletzt) begannen Niklas Rauch, Alexander Shehada und Hady El Saleh. Systematisch spielte Unger in einem variablen System mit Fünferkette. Gegen Ball sah es wie ein 5-3-2 aus, weil El Saleh zu Schulze und Silas Steinwedel ins Mittelfeld rückte, mit dem Ball eher nach 5-2-3, weil El Saleh oft auf den Flügel auswich. Die Fünferkette bildeten Maik Erdmann, Vinzenz David, Kapitän Dominik Franke, Niklas Rauch und Mohammad Baghdadi.
Der Drittligist brauchte lange, um ins Spiel zu finden. BTSV-Keeper Yannik Bangsow musste gegen Schulze und Sonntag parieren, da hatte VfV-Torwart Antonio Brandt kaum eingreifen müssen. Ein Freistoß von Martin Kobylanski ging deutlich über das Tor. Erst gegen Ende der ersten Hälfte wurden die Gäste stärker und hatten ihrerseits Möglichkeiten. Yari Otto verpasste nach einer Ecke nur haarscharf, zudem klärten Brandt und Franke jeweils auf der Torlinie. Ausgerechnet eine Minute vor dem Halbzeitpfiff sollte es dann doch passieren. Nach einem schnellen Angriff über die rechte Seite bediente Otto Jomaine Consbruch der im Zentrum zum 1:1 traf.
Nach dem Seitenwechsel sah es beim VfV eher nach einem 5-4-1 aus. Shehada und El Saleh standen deutlich tiefer, auf einer Höhe mit den Mittelfeldspielern Schulze und Steinwedel, die unermüdlich ackerten. Auch Stürmer Thomas Sonntag lief vorne wie ein Duracell-Hase.

Sonntag zur erneuten Führung

Das Spiel wirkte ausgeglichen. Einen Freistoß-Abpraller von Brandt musste David in höchster Not klären, der VfV verpasste es seine Konter gut auszuspielen. „Wir hatten mehrere Nadelstiche, aber da kamen oft die letzten Bälle ungenau“, so Unger.
Doch einer dieser Nadelstiche saß plötzlich. Erneut war es Schulze, der den Ball eroberte und Sonntag bediente. Der Stürmer zog von halblinks Richtung Zentrum und knallte das Leder aus gut 20 Metern auf das Tor. Vom Innenpfosten flog der Ball ins Netz – 2:1, erneute Führung VfV.

Gegentor und Glück für VfV

Dann wurde die Partie zur Abwehrschlacht. Brandt rettete bei einem Braunschweiger Konter gegen drei Offensivkräfte der Blau-Gelben. Ein Kobylanski-Freistoß strich nur knapp am Tor vorbei. Doch der erneute Ausgleich sollte fallen. Knapp sieben Minuten vor dem Ende landete der Ball beim aufgerückten Defensivmann Lasse Schlüter, der aus 22 Metern ansatzlos abzog und zum 2:2 traf. Brandt war dabei ohne Chance. Kurz darauf hatte der VfV Glück. Der eingewechselte Philipp Wölfing ging im Strafraum sehr ungestüm gegen Schlüter zu Werke, das hätte Elfmeter geben müssen. „Ich gehe davon aus, es war ein klarer Elfer“, gab Unger zu. Doch Fortuna war mit dem VfV und Schiedsrichter Rene-Alexander Rose beendete nach über fünf Minuten Nachspielzeit ohne weitere nennenswerte Höhepunkte die Partie. 

„Heute habe ich mir einfach ein Herz gefasst und das Ding reingeknallt“

Die Entscheidung musste also erneut vom Punkt fallen. Kobylanski begann für Braunschweig, er traf jedoch nur die Latte. Schulze zog nach, doch Bangsow konnte parieren. Schülter und Baghdadi trafen jeweils zum 3:3. Krauße schoss für Braunschweig daneben, doch auch Ufuk scheiterte. Er setzte seinen Elfer über das Tor. Weil Brandt dann gegen Multhaup parierte und Rauch traf, führte VfV 4:3. Der letzte Braunschweiger Lion Lauberbach verwandelte zum 4:4. Nun hing alles an Thomas Sonntag. Lässig verwandelte der Stürmer unten rechts und machte damit die Sensation perfekt. „Heute habe ich mir einfach ein Herz gefasst und das Ding reingeknallt“, so Sonntag anschließend.

„Ich freue mich einfach, dass die Jungs so ein Spiel geliefert haben“

Der Jubel bei den rund 1.500 Hildesheimer Zuschauer war frenetisch und laut. Keeper Brandt stimmte mit Mannschaft und Fans sogar die ‚HUMBA‘ an. „Ein unbeschreibliches Gefühl“, strahlte Brandt. Der Keeper verriet zudem sein Erfolgsrezept für das Elferschießen: „Ich versuche meinen Kopf frei zulassen. Das erste Gefühl, da springe ich hin. Ich gehe ganz neutral da rein, dann halte ich meistens die Elfer.“
Und wie fühlte sich für den Trainer an, den Ex-Verein geärgert und aus dem Pokal geworfen zu haben? „Das Thema ist mir persönlich zu groß. Ich freue mich einfach, dass die Jungs so ein Spiel geliefert haben“, so Unger, der lieber auf andere Dinge schauen wollte, „Ich speziell bin stolz auf die Jungs, wie sie nach den drei Niederlagen heute gegen den Ball agiert haben. Das haben wir in den drei Spielen nicht so gemacht, das war heute der Schlüssel.“